Die Romantic Comedy ist eines der kassenkräftigsten Hollywoodgenres überhaupt. Dem Zielpublikum Frauen verkauft sie ein biederes, zutiefst patriachalisches Konzept von Liebe. Dabei hätte die RomCom als Urgroßnichte der Screwball Comedy die besten Karten für starke Frauenrollen.
Anmerkung: Dieser Artikel stammt aus dem Jahr 2010. Seither (und schon vorher) gab es durchaus neue Impulse im Genre. Trotzdem hoffe ich, dass der Leser/die Leserin weiß, welche Sorte Romantic Comedy gemeint ist und Spaß an dieser kleinen Polemik findet. Euer MacGuffin.
Das große Vorbild aller Cinderellas: Julia Robertsin PRETTY WOMAN
Ein heroischer, wohlhabender Mann trifft auf eine mittellose Frau, gibt ihrem Leben neuen Sinn und sorgt künftig für das Auskommen der ehemaligen Prostituierten. Mit dieser Variation der Cinderella-Story wurde „Pretty Woman“ (1990) zu einer der kommerziell erfolgreichsten Romantic Comedies der Filmgeschichte. Dieses und ähnliche Märchen werden von Generation zu Generation weitergegeben, verpackt als süße Gute-Nacht-Geschichten in der intimen Atmosphäre des Kinderzimmers – vor allem an Mädchen. So erzeugt die Romantic Comedy in den Zuschauerinnen ein nostalgisches Gefühl der Wärme und Geborgenheit. Vielleicht bezieht sich das Genre deshalb selbst so gerne auf vergangene Zeiten, als Liebe angeblich noch eine ganz selbstverständliche, sehr romantische Angelegenheit zwischen Mann und Frau war. Zahllose RomComs, in denen Frauen vor einem Schwarz-Weiß-Film mit einem Becher Eiscreme in ihre Taschentücher schniefen, kreieren eine indifferente Nostalgie in Bezug auf die Filmgeschichte: Denn die Liebe, so zeigt ein Blick auf die Filmgeschichte, war nicht immer so altmodisch wie heute.
Die Ursprünge der RomComs liegen in der goldenen Hollywood-Ära der 1930er und 1940er Jahre: Die temporeiche Screwball Comedy mit ihrem Wortwitz, ihren häufig romantischen Inhalten und den krassen Gegensätzen zwischen den Protagonisten gilt als verwandte Vorläuferin der Romantic Comedy. Bezeichnenderweise etablierte sich die Romantic Comedy in ihrer heutigen Form erst in den gutbürgerlichen 50er Jahren als wirklich eigenständiges, kassenkräftiges Genre. Dafür maßgeblich mitverantwortlich waren die neuen Sauberfrauen Doris Day und Audrey Hepburn. In deren direkter keimfreier Nachfolge stehen die RomCom-Queens von heute, von Jennifer Aniston bis Sandra Bullock.
Seit den 50er Jahren hat sich das Genre nicht mehr wesentlich verändert. Auch wenn es heute (zumindest vordergründig) die veränderten Lebensrealitäten von Frauen spiegelt, wie sich beispielsweise an dem vermehrten Aufkommen von Karrierefrauen zeigt. Das war übrigens schon in den alten Screwballs so: Starke Frauenfiguren, Querulantinnen und anarchische Charaktere sind eines der wesentlichen Merkmale des Genres. In LEOPARDEN KÜSST MAN NICHT (1938) z.B. ist David (Cary Grant) im Grunde ein intellektuelles Kretin, ohne die Hilfe von Susan (Katharine Hepburn) im Alltag praktisch nicht überlebensfähig. Sie gewinnt sein Herz mithilfe von Manipulation, Betrug, Diebstahl und Erpressung und ist ganz klar die treibende Kraft hinter dem „Love Interest“. Der Witz entsteht hier durch eine Umkehrung der real bestehenden Machtverhältnisse: starke Frau, schwacher Mann.
Katharine Hepburn hat die Hosen an in LEOPARDEN KÜSST MAN NICHT
Unter den weiblichen Stereotypen der Screwball Comedy wimmelt es nur so von Working Girls, Boss Ladies und Gaunerinnen. Ein Paradebeispiel für das „Working Girl“ ist Rosalinde Russell als erfolgreiche Journalistin Hildy in Howard Hawks SEIN MÄDCHEN FÜR ALLE FÄLLE (1940). Sie will bei der Zeitung kündigen, um in den Hafen der Ehe einzugehen. Ihr Chef – und Ex-Mann – Walter (Cary Grant) will das verhindern: „You’re a newspaperman!” Sie darauf: “I wanna go some place where I can be a woman.” Aber Walter verwickelt Hildy in eine spektakuläre Enthüllungsgeschichte und überzeugt sie schließlich, dass sie nicht für Heim und Herd geschaffen ist.
Karrierefrauen haben heute keinen Sex
Auch in der zeitgenössischen RomCom gehören Karrierefrauen fast zum guten Ton. In SELBST IST DIE BRAUT ist Sandra Bullock Abteilungsleiterin in einer großen Firma und in DIE NACKTE WAHRHEIT (beide 2010) ist Katharine Heigel eine erfolgreiche TV-Produzentin. Karrierefrauen, soweit das Auge reicht: Hochzeitsplanerin (27 DRESSES), Modedesignerin (SWEET HOME ALABAMA), Star (NOTTING HILL). Aber eines haben alle diese Karrierefrauen gemeinsam: Sie sind unglücklich. Bis der jeweilige „Love Interest“ in ihr Leben tritt und ihm einen neuen Sinn gibt.
Diese Frauenfiguren werden durch die neue Beziehung oft „weicher“. Sandra Bullock etwa macht in SELBST IST DIE BRAUT eine bemerkenswerte Wandlung vom Büro-Drachen zum Softie durch. In einer intimen Szene gibt sie schließlich zu, heimlich auf der Toilette geheult zu haben, nachdem sie an einer früheren Stelle des Films einen Angestellten gefeuert hat. Im gleichen Atemzug gesteht sie, dass sie seit mehr als einem Jahr keinen Sex hatte. „Weicher“ bedeutet in letzter Konsequenz auch „weiblicher“: Die gefürchtete Sandra Bullock wird gar am Anfang des Films von ihren KollegInnen hinter vorgehaltener Hand als Neutrum „Es“ genannt. Erst die Liebe vermag, eine „sie“ aus ihr zu machen.
Sandra Bullock ist in SELBST IST DIE BRAUT als Karrierefrau ein Neutrum
Man würde meinen, dass in Filmen, deren großes Thema die Liebe ist, Sexualität im Paket mitkommt. Doch während es vor dem romantischen Aspekt der Liebe kein Entkommen gibt, sucht man nach ihrer fleischlichen Manifestation meist vergebens. Auch die alten Filme der 30er und 40er Jahre hat man sicher nicht wegen heißer Sexszenen in Erinnerung behalten. Denn der damals herrschende „Production Code“ untersagte Bettszenen, indem er vorschrieb, dass von zwei Protagonisten immer mindestens einer mit beiden Füßen am Boden stehen sollte. Ernst Lubitsch, König der Screwball Comedies, war ein Meister darin, diese Vorschriften zu umgehen: In ÄRGER IM PARADIES (1932) lässt er den langen Schatten eines sich küssenden Paares auf ein Doppelbett fallen – beide haben dabei beide Füße am Boden. Alles beschränkte sich auf Andeutungen, aber die waren zuhauf da: dreckige, kleine Zweideutigkeiten im Dialog, kunstvolle Kussszenen inklusive darauffolgender, bedeutungsschwerer Abblende.
Keimfreie Zone
Der Production Code ist mittlerweile Geschichte, dennoch sind heutige Romantic Comedies im Vergleich eine verblüffend erotikfreie Zone. Sex kommt etwa in SELBST IST DIE BRAUT nicht vor. Die einzige Nacktszene dient stattdessen als Slapstick-Einlage, in der es beiden Charakteren natürlich furchtbar peinlich ist, dass sie einander im Adams- bzw. Evakostüm erwischen. Besonders die Reflexion von weiblicher Sexualität hat in RomComs wenig Platz. Die dreckige Angelegenheit der Sexualität erledigen nach wie vor die Männer. In SELBST IST DIE BRAUT merkt Andrew an zwei Stellen des Films an, wie attraktiv er die verhasste Chefin Margaret findet. Zweimal hat er sogar die Gelegenheit ihr an den Hintern zu fassen und sein Morgenständer ist einer Szene immerhin für einen Witz gut. Auch Margaret entdeckt im Laufe ihrer Wandlung zwar eine ganze Menge Qualitäten an Andrew: die Familie, die Werte, die Gefühle! Ob sie auch seine erotischen Vorzüge bemerkt hat, geht aus dem Drehbuch nicht hervor. Und das in einem Film, der sich schon im Titel SELBST IST DIE BRAUT einen emanzipatorischen Anstrich gibt.
Auch Katherine Heigel zieht in DIE NACKTE WAHRHEIT schließich Romantik dem Sex vor.
Liebe und Sexualität scheinen in der Cinderella-Story fast ein Widerspruch zu sein. In DIE NACKTE WAHRHEIT treffen zwei gegensätzliche Charaktere aufeinander: Abby (Katherine Heigel) glaubt fest an die große Liebe, ihr Gegenpart Mike (Gerard Butler) hingegen an Sex mit möglichst vielen Frauen. Als Abby zufällig den muskulösen nackten Nachbarn unter der Dusche erspäht, zeigt sie sehr deutlich eigenes sexuelles Begehren. Auf den Kerl ist sie im Folgenden ganz wild. Schlussendlich ist er jedoch nicht derjenige, den sie bekommt – stattdessen überzeugt sie Mike, seine pathologische Hüftakrobatik sein zu lassen und mit ihr ein trautes Heim zu gründen. Dabei gibt es nicht einmal Indizien dafür, ob sie ihn auch sexuell begehrt.
Eine Parade unkoventioneller „Freundschaften“
In vielen Scewballs war sexuelles Begehren von BEIDEN Geschlechtern durchaus zwischen den Zeilen zu lesen. In SERENADE ZU DRITT (1933), lässt Regisseur Ernst Lubitsch seine Hauptdarstellerin Miriam Hopkins ausführlich Auskunft über ihre erotischen Gelüste geben. Sie ist in zwei Männer gleichzeitig verliebt und erlegt allen Beteiligten kurzerhand Enthaltsamkeit auf, um die Lage nicht zu verkomplizieren. Schlussendlich verstößt sie gegen ihre eigene Regel: „I know we had a gentlemen’s agreement. But I am no gentleman!“ Die Dreierbeziehung wird am Ende nicht etwa in einer glücklichen Zweierbeziehung aufgelöst, sondern überwindet die moralischen Schranken. In der Schlussszene sitzt Mariam Hopkins mit ihren beiden Verehrern in einem Wagen und küsst beide abwechselnd. Die Screwball propagierte häufig unkonventionelle Lebensentwürfe und die Demontage der bürgerlichen Ehe hatte in dem Genre eine große Tradition. Auch jede Menge außerehelichen Sex gab es – auch wenn er nie so benannt wurde. Im Finale von DIE SCHRECKLICHE WAHRHEIT (1937) etwa vergibt einander das Ehepaar Cary Grant und Irene Dunne mit salopper Großzügigkeit sämtliche (zahlreichen) außerehelichen „Freundschaften“, nur um munter weiterzumachen, wie bisher.
Miriam Hopkins liebt flotte Dreier in SERENADE ZU DRITT
Der Schwenk von „Comedy“ in der Screwball hin zu „Romantic“ in der RomCom bringt mit sich, dass die Paarfindung am Ende immer glücklich in einer Zweierbeziehung aufgelöst werden muss. RomComs beginnen mit dem Szenario „Boy meets Girl“ und enden prototypisch mit einer Hochzeit. Was dazwischen passiert, ist reines Füllmaterial. Das Resultat sind Charaktere ohne reale Konflikte und Geschichten ohne Individualität. Die Komplexität von (sexuellem) Begehren und verschiedenen möglichen Lebensmodellen wird schon alleine aufgrund der Zwänge des Genres völlig negiert. Auch wenn SELBST IST DIE BRAUT und DIE NACKTE WAHRHEIT in guter alter Screwball-Manier von unmöglich scheinenden Figurenkonstellationen ausgehen, münden sie doch beide in einem vollkommen konventionellen Beziehungsmodell, in dem schlussendlich alle Spannungsfelder zwischen den Paaren ausgebügelt werden.
Die Inflation der Hochzeiten
Frauen vermittelt das Genre heute in letzter Konsequenz immer noch, dass ihre Lebensaufgabe im Streben nach der einen, monogamen, heterosexuellen Beziehung liegt (und in Folge die Pflege derselben). Nicht umsonst spielt die Hochzeit eine so überproportionale Rolle in zeitgenössischen RomComs, wie sich schon an den Titeln zeigt (teilweise den deutschsprachigen Verleihern geschuldet): SELBST IST DIE BRAUT, DIE HOCHZEIT MEINES BESTEN FREUNDES, VERLIEBT IST DIE BRAUT, MEINE BRAUT IHR VATER UND ICH, HOCHZEIT ZUM VERLIEBEN – die Liste ließe sich unendlich fortsetzen. Die zeitgenössische RomCom findet das „Romantische“ fast ausnahmslos im „Bonding“, also dem Hinarbeiten auf das große, glückliche Finale. Die Hochzeit ist schließlich Zeichen für die gesellschaftliche Anerkennung der Verbindung. Und wenn es keine Hochzeit gibt, wird gerne ein anderer dramaturgischer Trick verwendet: Eine Schlussszene, in der das Paar einander im öffentlichen Raum vor versammelter Mannschaft seine Liebe gesteht. Sowohl in DIE NACKTE WAHRHEIT als auch in SELBST IST DIE BRAUT klatschen die Umstehenden und artikulieren mit rührseeligen „Aahs“ und „Oohs“ ihre Zustimmung zu der Verbindung. Diese Szene hat wohl jeder schon mal in irgendeiner Variante gesehen.
Die Ehe ist für Rosalind Russell in HIS GIRL FRIDAY doch nicht das richtige Modell
Jedes Genre verkauft seinem Publikum ein Gefühl. Bei der Romantic Comedy ist dies Liebe. Ein Begriff, der kaum stärker ideologisch geprägt und normativer sein könnte. Das Konzept von Liebe, das Romantic Comedies vermitteln, ist enterotisiert, verklärt und bieder. Das überwiegend weibliche Zielpublikum von Romantic Comedies wird mithilfe von weiblichen Identifikationsfiguren zur ihm zugedachten Rolle in einer patriachalen Gesellschaft hingeführt. So fungiert das Genre als Systemerhalter. Es erfüllt Frauen ihren Traum von der Cinderella-Story und zementiert damit schlussendlich die Haltung der patriachalen Gesellschaft gegenüber der weiblichen Rolle.
Im Schlussdialog der großartigen Screwball EHEKRIEG (1949) sagt Katharine Hepburn zu Spencer Tracey: „There’s no difference between the sexes. Men, Women, the same. Well, maybe there is a difference, but it’s a LITTLE difference.” Er steigt zu ihr ins Bett und macht sich daran sie zu küssen: “Hurray for THAT little difference!” Gut 70 Jahre später verkauft uns die durchschnittliche Romantic Comedy ein Konzept von Liebe, das schon im Jahr 1949 in Wahrheit von vorgestern war.
Filmbeispiele:
Selbst ist die Braut (The Proposal), USA 2009, Regie: Anne Fletcher / Die nackte Wahrheit (The Ugly Truth), USA 2009, Regie: Robert Lucetic / 27 Dresses, USA 2008, Regie: Anne Fletcher / Verliebt in die Braut (Made of Honor), USA 2008, Regie: Paul Weiland / Sweet Home Alabama, USA 2002, Regie: Andy Tennant / Meine Braut, ihr Vater und ich (Meet the Parents), USA 2000, Regie: Jay Roach / Notting Hill, USA 1999, Regie: Roger Michell / Eine Hochzeit zum Verlieben (The Wedding Singer), USA 1998, Regie: Frank Coraci / Hochzeit zum Verlieben (The Wedding Singer), USA 1998, Regie: Frank Coraci / Die Hochzeit meines besten Freundes (My best Fried’s Wedding), USA 1997, Regie: P.J. Hogan / Pretty Woman, USA 1990, Regie: Gary Marshall
Screwballs:
Ehekrieg (Adam’s Rib), USA 1949, Regie: George Cukor / Sein Mädchen für alle Fälle (His Girl Friday), USA 1940, Regie: Howard Hawks / Leoparden küsst man nicht (Bringing Up Baby), USA 1938, Regie: Howard Hawks / Die schreckliche Wahrheit (The Awful Truth), USA 1937, Regie: Leo McCarey / Serenade zu Dritt (Design for Living), USA 1933, Regie: Ernst Lubitsch / Ärger im Paradies (Trouble in Paradise), USA 1932, Regie: Ernst Lubitsch
Literatur:
Sennett, Ted : Lunatics and lovers . – New Rochelle, NY : Arlington House , 1973 / Sikov, Ed : Screwball . – New York, NY : Crown , 1989 / McDonald, Tamar Jeffers : Romantic comedy . – London [u.a.] : Wallflower Press , 2007 / Rubinfeld, Mark D. : Bound to Bond . Gender, Genre, and the Hollywood Romantic Comedy – London : Praeger , 2001
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